Meandering Soul

This day is done, I'm going home.
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Briefe an M

#1

Liebe M.,

Drei Tage ist es her, seitdem du in den Zug gestiegen bist. Wenn ich die Augen schließe, kann ich noch die Rücklichter sehen. Ich finde, Verabschiedungen wären um einiges einfacher, wenn man nicht die Rücklichter sehen könnte. Rücklichter haben immer so etwas melancholisches.

Du warst nie nur irgendwer. Nie nur einfach da. Aber du warst da. Zumindest rückblickend betrachtet fast immer. Wenn du mal nicht da warst lag das vielleicht auch eher an mir als an dir. Ich gebe zu, es ist nicht immer einfach mich zu kennen, mich vielleicht sogar mögen zu wollen. Doch du hast mir immer ein Zuhausegefühl gegeben. Vollkommen egal wo ich war, wenn du in der Nähe warst, konnte ich mich sicher fühlen.
Jetzt bist du bald weg.
Nicht richtig weg natürlich. Du wirst nie richtig weg sein können. Mein Herz wird dich nicht mehr loslassen.
Die Leute sagen, es wird einfacher. Die Leute sagen, man wird neue Menschen kennen lernen. Vielleicht haben sie ja recht. Bestimmt haben sie recht. Doch wer könnte schon verstehen, warum du fehlen wirst? Wer könnte uns verstehen? Kapitän Nemo könnte eventuell. Doch den gibt es nicht.
Was bleibt?
Das wichtigste. Das schönste.
Ich weiß, dass du bleiben wirst. Denn dich zu vergessen würde bedeuten, fast alles zu vergessen, was wirklich wichtig war.

Du fehlst, der Stadt vielleicht sogar noch etwas mehr als mir,

e

#2

Liebe M.,

einige Zeit ist vergangen, seitdem wir uns das letzte Mal begegnet sind. Wir haben uns zwar sehr wohl einige Male gesehen, doch das Sehen allein reicht für eine Begegnung nicht.

Ich habe mich oft gefragt, was wohl alles passieren könnte, wenn die räumliche Distanz so groß wird, dass sie anfangen kann an der Bauch-, Herz- und Kopfnähe zu knabbern und den ein oder anderen Brocken davon abbeißt. Ich habe mir immer eingeredet, dass unsere Nähe bleiben wird, weil – so vermutete ich – sie nicht die alltägliche, dahergebrachte Supermarktsonderangebotsnähe ist, sondern eben mehr, intensiver könnte man sagen, schöner vielleicht auch, anders in jedem Falle.

Natürlich lag ich falsch. Glaube ich zumindest.
Beweis mir das Gegenteil. Vielleicht irre ich mich ja. Das wäre schön, nicht nur, weil irren so unglaublich menschlich ist und deswegen viel zu oft als Schwäche abgetan und nicht akzeptiert wird.

Du fehlst. Trotz allem. Mehr als vorher sogar.

Es gibt Momente, in denen möchte ich einfach nur sein, ohne irgendwelche Verpflichtungen. Es sind diese Momente, die ohne dich nicht die selben sind. Es sind diese Momente, die ohne Dich nicht funktionieren. Diese Momente sind die einzigen, die immer etwas bedeuten.

Wenn wir uns treffen könnten, um zu warten, bis die richtigen Worte kommen und dann zu reden, bis all diese Worte gesagt und verstanden sind, wenn das ginge, würde ich anfangen, an die Zeit zu glauben, die alle Wunder heilt.

An dieser Stelle würde jeder dritte Brief dieser Art wohl diese eine gewisse Zeile aus Disarm von den Smashing Pumpkins enthalten. Denk sie dir einfach.

Komm, lass uns wieder gemeinsam schweigen lernen.

e

#3

M.,

ich habe immer noch ein bisschen Angst, dir eines Tages unverhofft über den Weg zu laufen. Seit Monaten, fast könnte man seit Jahren sagen, erwarte ich jeden Tag den Moment, den der Zufall erwürfelt hat. Den Moment, an dem du vor mir stehen wirst. Was ich dann sagen werde? Wahrscheinlich “Hey!”. Wahrscheinlich werde ich es in diesem Moment auch so nett und herzlich meinen, wie es klingen wird. Möchte ich jedoch, dass es so klingen wird? Dass du diese doch sehr positive Bedeutung aus den ganzen dann noch nicht einmal gesagten Zeilenzwischenräumen lesen wirst? Nein. Ich möchte nicht, dass du meine Zeilenzwischenräume in einem für dich angenehmen Licht aufnimmst. Ich möchte, dass sie für dich wieder werden, was sie eigentlich sind. Das Weiß zwischen der Tinte. Doch auch ich werde die Kräfte die ich einmal rief nicht mehr loswerden. Das ist schließlich schon einem gewissen Altmeister nicht gelungen.

Wo war ich? Ach ja. Eines Tages werden wir uns wieder begegnen. Im Moment wäre mir lieb, etwas Gewissheit darüber zu bekommen, dass dieser Tag noch in weiter Ferne liegt. Man kann eben nicht immer alles haben.

Ich liebte dich. Ich liebte dich mehr, als du nicht mehr da warst. Jetzt bist du noch immer nicht egal. Aber du wirst nie wieder so wichtig werden, wie du einmal warst.

Auf Wiedersehen.

PS: Ich freue mich darauf, dich wiederzusehen. Weil aus deinem Munde ein exakt gleich intentioniertes “Hey!” kommen wird.

  • Published in October 2013
  • First released on October 11, 2010
  • 739 words