Das Café
Das Café war überfüllt. Die Luft stickig, durchsetzt von dem Geruch frisch aufgebrühten Tees. Es war eines dieser neumodischen, hippen Cafés. Der lange Schlauch eines Raumes teilte sich ein in den Sofabereich hinten und ein paar wenige Kaffeetische mit einer kleinen, aber doch zentralen Kaffeetheke. Profiliert hatte sich dieses Café insbesondere durch die Tatsache, dass es dort keinen Kaffee zu kaufen gab. Nur Kakao und Tee. Und Kekse.
Hinten in der Ecke stand ein Klavier, daneben zwei gemütliche Sessel, die aus den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu stammen schienen. In einem dieser Sessel saß Allison in ein Buch versunken. Es ist schwer zu sagen, welches Buch sie gerade in der Hand hielt, denn alle paar Minuten legte sie eines weg und nahm ein anderes aus dem großen Bücherregal, das an der Wand stand.
John saß am Klavier. Manchmal drückte er ein paar Tasten, spielte die ein oder andere bekannte Melodie an, ließ sich fallen in den Klangwelten, die er kreirte. Meist jedoch dachte er nach über diese Frau, die da direkt neben ihm, weniger als zwei Meter entfernt, las. Er wusste nicht viel über sie und doch wünschte er sich, alles zu wissen, ein Teil ihres Lebens zu werden, Platz zwischen all den Büchern zu finden. Er warf einen Blick auf Allisons Teepott. Seiner war schon seit einer gefühlten Ewigkeit leer, doch er wollte keinen neuen holen, ohne ihr auch etwas gutes tun zu können. Gerade nahm sie den letzten Schluck. Man hätte sie fast mit Audrey verwechseln können, wie sie da so saß, mit einer langen Zigarre in einer Hand, dem Pott in der anderen und den Haaren, die original aus Frühstück bei Tiffanys sein könnten. Als sie ausgetrunken hatte, stand er auf und holten ihnen beiden neuen Tee. Schwarz. Ohne Zucker. Mit Milch. Das hatten sie gemeinsam.
Als John aufstand und ihre Teetasse nahm, schreckte Allison ein klein wenig auf. Sie war schon fast ganz in ihrem kleinen Kopfwunderland verschwunden gewesen. Gefangen in Gedanken sei sie, sagten die Leute. Sie selbst pflegte, ihren Lebensstil als gewollte Realitätsflucht zu bezeichnen. Ihr waren die Wohlfühlzeiten ausgegangen. Hier jedoch hatte sie einen Platz gefunden, der ihr diese Wohlfühlzeiten nach und nach zurück gab. Genau genommen stimmte das nicht. Genau genommen hatte John diesen Platz vor langer Zeit gefunden und ihr gezeigt. Er hatte “Das Café dort ist mein Lebensrückzugsort. Das weiß keiner. Doch Du, Du sollst das wissen.” gesagt. Mit ernstem, aber doch verträumt nachdenklichem Blick hatte er sie hingeführt, ihr die Mitarbeiter vorgestellt, die ihn schon seit Ewigkeiten zu kennen schienen und sie schließlich zu dieser Ecke mit dem Klavier geführt.
Dort saßen sie seit Wochen immer wenn sie sich trafen. Geredet hatten sie in der ganzen Zeit kaum mehr als 10 Sätze. Es schien, als ob sie nicht reden müssten, um sich zu verstehen. Das war allerdings eine andere Überlebenstaktik, die sie beide gemeinsam hatten: Bloß niemanden zu nah an sich heran lassen, niemals alles offenlegen, sich immer noch einen Fallschirm einstecken, wenn man mal Fallen sollte. Denn beide wussten, sie würden tief fallen, wenn sie ihre öffentlichen Ichs ablegen würden.
Allison betrachtete John, wie er sich durch die kleinen Sitzgruppen und weiter vorne durch die Lücken zwischen den stehenden Gästen zur Bar schlängelte. Einmal musste sie lächeln, weil ihm beinahe eine der Tassen auf den Hund eines Gastes gefallen war, doch schließlich kam er mit frisch aufgefüllten Tassen zurück. Sie hatte den Tisch frei geräumt.
“Danke. Bleibst Du hier? Ich möchte dir mein Leben erzählen.”