Erzähl mal was
Wir liegen im Bett. Die Decke ist wunderbar kuschelig, die Kopfkissen haben alle genau die richtige Position, man könnte sofort einschlafen. Es ist unglaublich ruhig im Hintergrund. Bei dir. Bei mir nicht. Zwischen uns befinden sich viele hundert Kilometer. Ganz nah sind wir uns trotzdem. Telekommunikation ist eine praktische Erfindung.
“Erzähl mal was.” sagst du in die Stille hinein. Die meisten Stimmen hätten die Stille damit grausam zerschnitten. Deine nicht. Sanft, geradezu engelsgleich, gleitet sie durch den Äther und ich muss lächeln, wenn ich dich sprechen höre.
Jedes Mal.
“Erzähl mal was.” sagt deine Stimme noch einmal. Diesmal nur in meinem Kopf. Du schweigst bereits wieder. Erwartungsvoll. Ich kann dein Lächeln hören, durch den Rythmus, in dem du atmest. Ich denke nach. Ich möchte, dass du die ganze Nacht lächelst, wegen dem, was ich dir erzählen werde. Es ist gar nicht so einfach, schönes zu erzählen. Das traurige, bedrückende, das geht im schützenden Dunkel der Nacht immer leicht von der Hand, doch Worte zu Sätzen zu formen, die deine Lippen zum Lächeln bringen…
Wahrscheinlich wäre alles viel einfacher, wenn ich gewillt wäre, dir eine Geschichte zu erzählen, aber ich möchte dir heute keine Geschichte erzählen. Ich möchte dir von mir erzählen. Ich möchte, dass du wegen einem erzählten Erlebniss und nicht wegen einer Geschichte mit Zwangshappyend lächelst.
Das ist er, der fatale Moment, der immer dann auftritt, wenn man Hände ringend nach Erinnerungen sucht und der Kopf gerade mehr Leere aufweist, als alle leeren Studentenkühlschränke der Welt zusammen. In freier Wildbahn wird dies ja meist durch das verhasste “Erzähl doch mal einen Schlag aus deiner Jugend” ausgelöst. Völlig unbeabsichtigt natürlich. Obwohl jeder weiß, wie viele Hämmer im Kopf verloren gehen werden, bis ein Schlag trifft und erzählt werden kann. Nun gut. Soviel zum Normalfall. Normalfälle sind scheinbar gerade nicht kompliziert genug. Nein, ich musste ja unbedingt so schlau sein und mich selbst in diese missliche Lage verfrachten.
Bis jetzt sind seit deiner Bitte ungefähr zehn Sekunden vergangen. Wenn überhaupt. Zeit ist nicht so gut messbar, wenn man mit sich selbst diskutiert. Die nullte Regel ist, es gibt keine erste Regel. Naja. So ähnlich. Jedenfalls hängt das damit irgendwie zusammen. Glaube ich. All diese Gedanken fliegen durch den großen leeren Raum. Und sie finden einfach keinen Platz um zu landen.
Tragisch, das.
Da! Ein Einfall! Ganz schwach kann ich ihn schon spüren, wie er sich langsam emporwindet und zu seiner vollen Pracht heranwächst.
“Was möchtest du denn gerne hören?” frage ich, um etwas Zeit zu gewinnen. Mir ist nun zwar klar, dass ich gleich wissen werde, was ich erzählen werde, doch finde ich es auch immer wieder wichtig, von dir zu erfahren, was du gerne hören würdest.
Du antwortest. Ich muss lächeln. Einen kaum spürbaren Moment später fange ich an zu erzählen. Und mein Herz wird mit jeder Sekunde glücklicher, weil es dir beim Lächeln lauschen darf.