Writings on the Wall
Oft wird behauptet, Weblogs und Tagebücher seien das gleiche. Meist fühle ich beim Lesen solcher Sätze ganze Hauswände an meine Stirn knallen. Es ist nun mal nicht das gleiche. Nicht unbedingt jedenfalls.
Es ist also nichts neues, seine Gedanken oder Erlebnisse festzuhalten. Viele mehr oder weniger berühmte tagebuchschreibende Menschen haben in der Vergangenheit bereits ihre Tagebücher entweder in hohem Alter selbst veröffentlicht, oder testamentarisch veranlasst, dass diese nach dem Tode veröffentlicht werden. Der Inhalt der Tagebücher gibt meist nochmal einen gänzlich anderen als den bisher bekannten Einblick in das Lebenswerk des Schreibers.
In Zeiten des World Wide Web hat sich das allerdings ein wenig geändert. Heutzutage kann jeder Mensch mit Zugang zum Internet jederzeit so ziemlich alles veröffentichen. Nicht mal der Form sind wirklich Grenzen gesetzt. Text, Bild, Ton, Video. Alles was möglich ist, ist auch erlaubt. An dieser Stelle treten dann so Phänomene wie Wordpress, Twitter, Tumblr, Flickr, Blogger auf. An dieser Stelle überschreitet man dann eventuell den Punkt zwischen dem klassischen, zu Lebzeiten meist privatem Tagebuch und der öffentlichen Darstellung des Selbst.
Schon Gottfried Keller wusste, dass Kleider Leute machen. Heutzutage sind es aber, nicht zuletzt aufgrund der Globalisierung, mehr und mehr die Dinge die wir sagen, schreiben, festhalten, die uns ausmachen, uns charakterisieren. Die Dinge, die wir mit Hilfe der vorhin genannten Webangebote oder anderem hinterlassen bilden eine Spur unserer Gedanken. Helfen dabei nicht nur uns, sich später an erlebtes zu erinnern, sondern auch anderen mehr über uns herauszufinden.
Ob dieses mehr herausfinden nun Gut oder Schlecht ist sei jedem selbst überlassen. Ich zum Beispiel schreibe hier zwar unter einem Pseudonym, aber es ist nicht sonderlich kompliziert herauszukriegen, wer sich dahinter versteckt. Was mir aber eigentlich wichtig ist, ist der “für andere”-Punkt. Das Tagebuch schreibt man selten für andere. Sei es nur, um sich selbst beim nachdenken zu helfen. Sobald man aber etwas auch explizit für die Augen anderer schreibt, fängt man plötzlich an über das zu schreibende nachzudenken. In diesem Sinne kann man zwar durchaus ein Weblog auch als klassisches Tagebuch führen - mit der Option, dass es die Restwelt sofort lesen kann - ich jedoch bin der Meinung, dass ein solches öffentliches Tagebuch niemals vergleichbar sein wird, mit dem, was man unter gleicher Voraussetzung geschrieben hätte, wenn es nicht (sofort) öffentlich wäre.
Schließlich finde ich die (post?) modernen Mitteilungsmöglichkeiten nicht nur gut und richtig, sondern auch ausgesprochen wichtig, weil dem Normalbürger damit - soweit ich weiß erstmalig in der Geschichte - die Möglichkeit geboten wird, Ausmaß und Umfang der von ihm bekannten persönlichen Daten weitestgehend selbst zu bestimmen.